Natürlich hatten andere dieselbe Idee. Genervt von meiner eigenen Naivität verdrehe ich die Augen, als ich die Karawane aus Autos vor uns sehe, die sich die Uferstraße des Hallstätter Sees entlang schiebt.
„Was machen wir jetzt?“ fragt Mathias am Steuer. Ich zucke mit den Schultern. Auf der schmalen Straße bleibt uns eigentlich nur eine Möglichkeit: weiterfahren.
Was gestern noch wie eine großartige Idee klang, entwickelt sich gerade zum Gegenteil. Wir haben beschlossen, die Corona-Zeit nutzen, um uns eine der Hauptsehenswürdigkeiten Österreichs anzuschauen: Das berühmte Hallstatt, ohne die Touristenmassen, die sich üblicherweise durch das kleine Dörfchen schieben, wollen wir entspannt durchs Weltkulturerbe schlendern, die malerischen historischen Holzbauten betrachten, vielleicht im See baden. Klingt clever in der Theorie, ist in der Praxis jedoch völlig utopisch. Denn an diesem sonnigen Frühlingstag, als die Grenzen noch geschlossen und die asiatischen Urlaubsflieger in weiter Ferne sind, haben offensichtlich viele Österreicher denselben Gedanken wie wir.
Während wir den Camper durch den Zufahrtstunnel steuern, vorbei an den hoffnungslos überfüllten Parkplätzen im Zentrum und ihn schließlich am anderen Ende des Sees abstellen, denke ich, dass ich es andererseits auch niemandem verübeln kann, hier her gefahren zu sein. Mathias, der Österreicher, und ich, die „Zugroaste“, waren noch nie in Hallstatt. Die Bilder und Medienberichte, in denen Busladungen mit Touristen in dem 800-Einwohner-Ort anlanden, hatten uns bisher abgeschreckt.
Hallstatt gehört, wie Schloß Neuschwanstein oder Venedig, zu den Top-Reisezielen in Europa und steht auf dem Programm der meisten asiatischen Reiseveranstalter und Touristen. Kein Wunder, dass viele Österreicher jetzt die Gelegenheit nutzen, sich „ihr“ Hallstatt einmal ohne den üblichen Trubel anzusehen.
„Wie geht richtiges Reisen nach Hallstatt?“ fragte denn auch kürzlich der ORF angesichts erneuter, dieses Mal inländischer Touristenmassen, die nun statt der Reisebusse mit ihren PKW die Straßen verstopfen. Die Antwort laut ORF: Erstens mit dem Zug, zweitens mit viel Zeit oder drittens: gar nicht.
Option eins und drei kommen für uns allerdings nicht mehr in Frage, wir wählen Option zwei und warten am See, bis sich der größte Ansturm gelegt zu haben scheint. Von einem Wanderparkplatz aus, an dem wir unseren Bus bequem und stressfrei abstellen können, laufen wir eine Dreiviertelstunde ins Zentrum.
Dieser Plan geht tatsächlich auf: Als wir den Dorfkern am späteren Nachmittag erreichen, sind die Gassen und Plätze angenehm leer. Natürlich weit entfernt von der Ausgestorbenheit, die viele Innenstädte in den letzten Monaten kennzeichnete, aber eben auch weit entfernt vom Gedrängel, das hier normalerweise herrscht.
Was macht einen Ort zu etwas Besonderem? frage ich mich, während wir durch die Gassen bummeln, entlang des „scenic walkways“ mit Blick auf den See. Im Falls von Hallstatt hätte ich gedacht, der Hype könnte mehr zu seinem Ruf beitragen, als der eigentliche Ort.
Ein Vorurteil, wie ich während unseres Spaziergangs feststelle. Hallstatt ist tatsächlich vieles vom dem, was ihm gemeinhin zugeschrieben wird: idyllisch, pittoresk, wunderschön gelegen. Nicht umsonst ist der Ort Teil der Weltkulturerbestätte Hallstatt/Dachstein-Salzkammergut und Sehnsuchtsort von Influencern und Instagrammern.
Als wir abends zurück am Camper sind, haben wir das Gefühl, dass wir heute doch noch alles richtig gemacht haben.