Kapitel 15: Lett me entertain you

»I’m a very important person!« (Papa Bear, Dirigent des lettischen Militärorchesters)

 

Als die Jungs aus dem Partyboot beginnen, ein paar Tische und Bänke aufzustellen, lösen sich zwei von ihnen aus der Gruppe und steuern unseren Bus an. Sie stellen sich höflich als Mitglieder des nationalen Militärorchesters vor. Der kleinere von beiden, stechend blaue Augen, strohblonde Haare, spiele die erste Trompete, der zweite, Muscle-Shirt, Badehose und ein gutmütiges Gesicht, das unter einem Strohhut hervorschaut, sei die Klarinette im Orchester.
Sie hätten heute ihren Jahresausflug, erzählen sie uns begeistert, den einen Tag im Jahr, an dem sie zusammen durch die Gegend zögen und eine Party feierten. Ob es uns störe, wenn sie ihre Zelte neben unserem Bus aufbauen. Es könne auch etwas lauter werden heute Nacht, fügt der Trompeter vorsichtshalber hinzu. „We are musicians, we love to sing.“ Mathias und ich tauschen einen gequälten Blick. Am liebsten würde ich sagen: „Nein, das ist nicht okay, wir hatten eine extrem kurze Nacht mit Dauerbeschallung und genug von lettischen Gesangskünsten! Bitte feiert irgendwo anders, aber nicht neben unserem Bus! Vielleicht dahinten, bei dem roten Kleinwagen?“ Was ich wirklich sage, ist: „No problem, have a nice evening.“ Man will ja kein Partypooper sein.

Die beiden bedanken sich sehr herzlich und wir sehen sie erst zwei Stunden später, am Abend, wieder, als sie plötzlich mit einem Teller Grillgut und zwei kleinen Gurken vor unserem Feuer stehen. „Specialty from Latvia, grown in the garden of our tuba player“, erklärt die Trompete, auf die Gurke deutend, und die Klarinette lädt uns ein: „Would you like to come over and join us?“ Selbst Mathias ist heute nicht so sehr nach Gesellschaft, schon gar nicht, wenn sie in Form einer Bande betrunkener lettischer Militär-Musiker daherkommt, deren 80er-Jahre-Playlist kein Ende zu haben scheint. Wir beraten uns kurz. „Wir können uns nachher ins Bett legen, wieder kein Auge zumachen und uns die ganze Nacht ärgern“, fasse ich die Situation zusammen, „oder wir gehen rüber und haben vielleicht einen lustigen Abend.“

Eine Stunde später sitzen wir an einem großen Lagerfeuer und lernen die restliche Truppe kennen. Die Tuba, der passionierte Hobbygärtner, ist der Barkeeper heute Abend und mixt wilde Eigenkreationen. Das Waldhorn, mit einer Piratenbinde um den Kopf, beatboxt am Lagerfeuer und der Trommler stellt sich mir alle paar Minuten erneut vor, wobei er jeden Satz mit „Thank you very welcome“ beendet. Irgendwann fordert mich der kleine Trompeter zum Tanzen auf und wir kreiseln fröhlich über die Wiese.

Die einzige Störung an diesem Abend ist das deutsche Paar aus dem roten Kleinwagen, das plötzlich am Feuer steht und uns bittet, doch ein wenig leiser zu sein. Man sei schließlich im Nationalpark. Die beiden sind in etwa so alt wie wir und ich bin heilfroh, dass der Spießer-Award des Abends nicht an uns gegangen ist. Die sympathische Musiker-Truppe entspannt die Situation auf ihre eigene Art und Weise: Die Tuba drückt dem Mann ein Bier und der Frau einen Wodka-Cola in die Hand und bald sitzt er neben dem Waldhorn am Feuer und sie lässt sich vom Trompeter zum Dirty-Dancing-Soundtrack über die Wiese wirbeln. Mathias sinkt in diesem Moment erschöpft vom Tanzen neben mir in einen Campingsessel.

Plötzlich gibt es Bewegung bei den Zelten. Der Trommler und ein anderer Musiker ziehen an einem dicken Paar Beine, das aus einem der Zelte ragt. Langsam kommen eine stattliche Wampe, ein breites Kreuz und ein bärtiger Kopf zum Vorschein. Die beiden wuchten mühsam einen massiven Mann um die 50 auf die Beine.
„Das ist Papa Bear, unser Komponist“, erklärt mir die Klarinette, als ich fasziniert diesen Vorgang beobachte. An der Art, wie die Jungs Papa Bear begegnen, merke ich, dass er höchsten Respekt genießt, obwohl er so betrunken ist, dass er sich kaum aufrecht halten kann. Papa Bear trägt eine Badehose und darüber eine schwarze Daunenjacke mit Fell-Kapuze, aus der majestätisch sein Brusthaar quillt. Obwohl eine imposante Erscheinung, hat er sanfte Gesichtszüge und einen gutmütigen Blick. Er bedenkt jeden seiner Musiker mit einer wirbelsäulenbrechenden Umarmung, lässt sich von der Tuba einen Drink mixen und wankt dann schwerfällig ums Feuer.
Dort bleibt er vor Mathias stehen. „This is my chair“, brummt Papa Bear in einem tiefen Bariton und deutet auf die Sitzgelegenheit, die er sich zu eigen gemacht hat. „Nobody sits in my chair.“ Und nach einer Kunstpause, um den Ernst der Lage zu betonen: „Nobody!“
Mathias springt erschrocken auf und Papa Bear lässt sich, mithilfe zweier Adjutanten, in seinem Stuhl nieder. Von dort aus erläutert er mir dann die Qualitäten eines jeden einzelnen seiner Musiker. Da ist zum Beispiel die erste Trompete, die so gut die hohen Töne spielen kann, und das Fagott, das alles repariert – Instrumente, Autos, Beziehungen, momentan allerdings apathisch ins Feuer starrt. Und das Waldhorn, blutjung und unglaublich talentiert. Über jeden seiner Jungs hat Papa Bear etwas Gutes zu sagen und als er fertig ist, hat er Tränen der Rührung im Gesicht. Heute haben wir wirklich außergewöhnliche Menschen kennengelernt, denke ich.

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